Der Pfarreirat

 

(Vor der Lektüre der folgenden Seite empfiehlt es sich, falls noch nicht geschehen, die Einleitung unter der Hauptnavigation Pfarreistruktur & Seelsorgemanagement  zu lesen.)

 

Der Pfarreirat ist mit dem Verwaltungsrat das wichtigste Gremium der Pfarrei. Er setzt sich, wie die Diözesansatzung festlegt, aus gewählten Mitgliedern der einzelnen Gemeinden, aus Delegierten verschiedener Verbände und den Mitgliedern des Seelsorgeteams zusammen.

Das ist eine interessante Gruppe, die die besten Voraussetzungen für kreative Prozesse mitbringt. Hier fließt die Kompetenz aus Quellen zusammen, die für die Arbeit eminent wichtig sind.

  • Die Mitglieder leben in ihren Familien, in ihrer Verwandtschaft und in Freundeskreisen, wohnen in verschiedenen Orten und kommen mit unterschiedlichen Menschen im Beruf und sonstwo zusammen - die persönliche Quelle.
  • Sie sind aktive Christen, die sich ins religiöse Leben der Gemeinden einbringen - die gläubige Quelle.
  • Und sie sind Sprecher der unterschiedlichen kirchlichen Gruppierungen wie Gemeindeausschuss, Kindergarten, Erwachsenen- und Jugend-verbände - die kirchliche Quelle.

Wir in der Musterpfarrei St. Georg sind froh, solche Menschen in dem für die Pfarrei so wichtigen Gremium zu wissen. Hier sammelt sich Wissen über Menschen, über Kirche und Gemeinden, was größer kaum sein kann. Wir stellen uns vor, je mehr die Einzelnen Sensibilität entwickeln, desto mehr können sie über die Meinungen und Denkmuster ihrer Zeitgenossen, über ihre Ziele und Vorstellungen, ihre Zustimmungen und Ablehnungen Auskunft geben. Alles das würde unserm PR einen unschätzbaren Wissenspool schenken, aus dem die Mitglieder bei Diskussionen und Abstimmungen schöpfen können.

Eine derart große Hoffnung allerdings wird nicht selten enttäuscht. Denn gut ausgesuchte Menschen garantieren noch lange keine gute Gruppe. Häufig passiert folgendes: Man beginnt voller Optimismus die Arbeit und schon nach kurzer Zeit schleppen sich die Gespräche dahin. Der große Wissensschatz wird kaum kommuniziert. Informationen aus den Ausschüssen gibt es nur wenige und brauchbare kontroverse Auseinandersetzungen, auf die man so gewartet hat, bleiben auf der Strecke.

Anfangs mag man sich noch trösten: Wir sind noch Anfänger, da ist noch die Angst, sich nicht richtig ausdrücken zu können oder die Befürchtung, im Vergleich zu anderen schlecht auszusehen, oder die Zurückhaltung, sich nicht in den Vordergrund spielen zu wollen. Ja das ist in der Anfangsphase von neuen Gruppen so. Aber das erklärt nicht alles.

Die Erfahrung zeigt, dass so zu sagen alle Anfängergruppen eine derartige Phase durchleben müssen, wenn sie unvorbereitet und unstrukturiert in ihre Arbeit gleiten. Es ist wie eine Gesetzmäßigkeit: neben Angst und Zurückhaltung bilden sich erste Gewohnheiten heraus: wer redet, wer schweigt, wem hört man gern zu, wem weniger, wer übernimmt wann Führung, wer wird zum Sündenbock, wie geht man mit unpopulären Meinungen um, wie geht das zwischen den Gemeinden u. s. w.? Diese einfachen Elemente haben den Drang, sich sehr schnell zu einer ziemlich flächendeckenden Struktur zu verdichten, die sich dann als festes Ordnungsschema über die gesamte Gruppe legt.

Um derartige Strukturen sichtbar und beschreibbar zu machen, bedienen sich Organisationen gern Organigrammen. Das Organigramm, das wir für Pfarreiräte malen könnten, ist relativ einfach. Der leitende Pfarrer und sein Seelsorgeteam stehen oben, darunter der Pfarreirat mit seinen Ausschüssen, seitlich daneben, vielleicht etwas höher, der Verwaltungsrat und in der untersten Ebene die Gemeinden mit ihren Ausschüssen. Viele Mitglieder des PR finden sich dabei auf drei Ebenen, der Ebene der Hauptamtlichen, der des Pfarreirates und der der Gemeindeausschüsse. Und nicht nur das, die meisten gehören den beiden unteren Ebenen gleichzeitig an.

Solche Schemata werden leicht verinnerlicht und dann bestimmen sie so ziemlich alles, was läuft. Ist jemand auf einer Ebene eingebunden, wird das sein Verhalten mitbestimmen. Er wird, i. d. R. unbewusst, nur das kommunizieren, was seine Position stärkt oder wenigstens nicht schwächt. Gremien auf der gleichen Ebene meinen oft, sich untereinander messen zu müssen, und Teilnehmer, die zwei Ebenen gleichzeitig angehören, wissen oft selbst nicht, in welchen Namen sie gerade sprechen. Es besteht die Gefahr, dass Informationen, insofern sie überhaupt weitergegeben werden, durch die Filter dieser Struktur gehen: Gibt ein Sprecher zu viel oder zu wenig weiter, mit unpassenden Akzentuierungen oder übt er Kritik, muss er damit rechnen, dass sich das auf seine Abhängigkeiten und sein Ansehen auswirkt. Das ist immer wieder das Problem von Organisationen, die sich auf einer durch Positionen definierte Struktur aufbauen, dass die Informations- und Kommunikationsflüsse zur Stärkung dieser Positionen instrumentalisiert werden. Das lenkt die Informationen von ihrem eigentlichen Ziel ab, nämlich das Material für Diskussionen, Meinungsbildungen und verantwortliche Abstimmungen zu liefern.

Es bewahrheitet sich hier zum wiederholten Mal eine Binsenweisheit der Systemtheorien:  Organisationen, wie der Pfarreirat eine ist, können ohne Strukturen nicht leben. Versäumen es die Mitglieder, deren Gestaltung selbst in die Hand zu nehmen, macht sich das System selbständig und kreiert seine eigenen und manchmal ziemlich wilden Strukturen, die, weil sie i. d. R. machtgeleitet sind, außerdem sehr widerstandsfähig gegen Veränderungen sind.

Werden sich unsere Pfarreiräte solcher Vorgänge bewusst, was ohne fremde Hilfe kaum möglich ist, kommt auf sie ein schwieriger Prozess zu. Sie müssen diese auf Positionen aufgebauten Strukturen überwinden, und nicht nur das. Auch von den Positionen selbst, die sie sich z. T. unbewusst erobert haben, müssen sie sich verabschieden. Sie müssen verstehen und einüben, dass allein das Gespräch und der Austausch von positionsfreien Informationen in den Mittelpunkt gerückt werden müssen. Unsere Meinungsbildungsprozesse werden in dem Maße gut, wie neutrale Informationen verarbeiten werden und nicht die Einwürfe von Meinungsführern. In einer guten Gruppe bestimmt nicht die Position eines Mitglieds den Wert einer Information, sondern, wenn überhaupt, der Wert der Information die Position. Dabei sind auch nicht kommunizierte Informationen Informationen. Wenn ein GA die Erkenntnis darüber zurückhält, dass es in der Gemeinde eine große Unzufriedenheit wegen einer zugeteilten Zeit für die Hl. Messe gibt, dann gibt es für den PR diese Unzufriedenheit nicht und reagiert dementsprechend bzw. nicht. Das Maß der explizit gegebenen reinen Informationen entscheidet über die Wirkungsmöglichkeit des Pfarreirates.

Abschließend stellt sich natürlich die Frage, ob man derartige ungute Entwicklungen verhindern kann. Höchstwahrscheinlich ja. Viele Pfarreiräte machen sich die Erarbeitung eines Seelsorgekonzeptes zur Aufgabe, das ja, will es vollständig sein, auch derartige strukturelle Aspekte beinhalten muss. Aber sie lassen sich damit zu viel Zeit. Gerade diese Zeit des noch geringen Problembewusstseins ist aber in höchstem Maße anfällig für die geschilderten Prozesse. Es wäre sinnvoll und notwendig, die Pfarreiräte dazu zu veranlassen, sich im Vorgriff auf ein paar wichtige Regeln für das Miteinander und für die Arbeitsorganisation zu verständigen und die Einhaltung immer wieder anzumahnen. Auf diese Weise verlaufen die Strukturierungsprozesse sicher anders und zielgerichteter.                                   

Stand: 01.03.2018                                                                                                                  Zum Seitenanfang

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