Pfarrei und Gemeinde

 

(Vor der Lektüre der folgenden Seite empfiehlt es sich, falls noch nicht geschehen, die Einleitung unter der Hauptnavigation Pfarreistruktur & Seelsorgemanagement  zu lesen.)

 

Die Aufteilung der Pfarrgemeinde in ihre Bestandteile

Sie ist in ihre Hauptbestandteile zerlegt worden – die gute, alte Pfarr-Gemeinde. Diese Bezeichnung ist schon im Großen Herder von 1934 benutzt worden, ohne sie näher zu erklären. Richtig eingebürgert hat sich die Pfarrgemeinde erst seit der Würzburger Synode, die zur Umsetzung der Beschlüsse des II. Vatikanischen Konzils von 1971 bis 75 in Würzburg getagt hat. Seitdem beschreibt Gemeinde den Ort, an dem in der Gemeinschaft der Getauften der Glauben erlernt und gelebt wird; und die Pfarrei meint die Organisation, die dafür die strukturellen, organisatorischen, rechtlichen und finanziellen Bedingungen bereitstellt.

Mehr als vierzig Jahre haben wir in und mit dieser wiederentdeckten Pfarrgemeinde gelebt, zwischendurch ergänzt durch Pfarrverbände und Pfarreiengemeinschaften, und schon ist ihre Zeit wieder zu Ende. Gemeinde und Pfarrei gibt es zwar weiterhin, aber in getrennten Organisationen, wobei ihre Funktionen unverändert geblieben sind, zumindest habe ich noch keinen anderslautenden Hinweis gefunden. Also werden die Gemeinden auch weiterhin Orte konkreten Glaubens sein, für die die Pfarrei die Voraussetzungen schaffen hilft.

Aufgaben der Gemeinden

Für diese Funktionen haben die Organisationen ihre Gremien gebildet, die Gemeindeausschüsse bzw. den Pfarrei-, den Verwaltungsrat und das Seelsorgeteam. Die Gemeindeausschüsse stoßen die kirchlichen Aktivitäten an und koordinieren sie und versuchen damit das gläubige Leben am Ort zu festigen und zu stärken. Sie haben dabei die einzelnen Menschen, die Familien, Gruppen und Gemeinschaften mit ihren Fragen und Bedürfnissen im Blick.

Aufgaben der Pfarrei

Die Aufgaben der Pfarrei exakt zu beschreiben, fällt, was den Dienst des Verwaltungsrates angeht, auch nicht schwer. Ihm geht es um die rechtlichen und finanziellen Belange. Für ihn ist die gesamte Pfarrei ein einheitlich rechtlicher Raum, für den er in Zusammenarbeit mit Fachleuten den unterschiedlichen Aufgaben im Finanz-, Gebäude-, Liegenschaften- und Personalmanagement nachgeht.

Welche Aufgaben der Pfarrei sonst noch zufallen, wie sie sich in die Strukturierung und Organisierung der Seelsorge einbringt, wo sie gefragt ist und wo ihre Grenzen sind, das zu beantworten, schein dagegen weniger leicht zu sein und die Antwortversuche scheinen nicht alle in die gleiche Richtung zu gehen. Der Bereich der Seelsorge stellt sich nicht als einheitlicher Raum dar, der mit zentralen Planungen und Beschlüssen gesteuert werden kann. Der Pfarreirat oder das Seelsorgeteam können zwar, um ein Beispiel zu nennen, alle Mitglieder der Pfarrei zu einem theologischen Grundseminar einladen. Das würden die Gemeinden begrüßen, weil sie so etwas selbst i. d. R, nicht leisten können. Sollte dagegen eine Pfarrei auf die Idee kommen, für die gesamte Pfarrei eine zentrale Fronleichnamsprozession anzubieten, und sollte auch nur eine Gemeinde beim Alten bleiben wollen, hat die Pfarrei sofort ihre Initiative zurückzuziehen. Für mich steht eindeutig fest, dass in derlei seelsorglichen Fragen die Gemeinden im Vordergrund stehen und die Pfarrei ihnen zu Diensten ist. Das Ziel der Bemühungen der Pfarrei sind nicht primär die Menschen, die in ihren Grenzen wohnen, sondern es sind die Gemeinden, und es ist insbesondere ihr Zusammenarbeiten und ihr Zusammenleben. Wie ein Dachverband sorgt sich die Pfarrei, die Gemeinden als Arbeitsgemeinschaft zusammenzuführen.

Als Dachverband kann die Pfarrei für die Arbeitsgemeinschaft bei vielen Alltagsaufgaben organisatorische Hilfestellung geben, wenn sie einen für alle Gemeinden sinnvollen Gottesdienstplan erstellt, wenn sie die Erstkommunion-, die Firm- und Ehevorbereitung gemeinsam plant, wenn die Büchereiarbeit zentriert wird, wenn die Jugendarbeit eine wirkungsvolle Zentrale bekommt, um nur ein paar mögliche Bereiche der Zusammenarbeit zu nennen.

Als Dachverband verhält sich die Pfarrei subsidiär. Nach diesem Grundprinzip der katholischen Soziallehre hat die Basis – die Gemeinde – so lang es geht die Verantwortung für die Seelsorge und darf sich der Hilfe von oben – von der Pfarrei - gewiss sein. Erst wenn für die Arbeits-gemeinschaft ausreichende Gründe sprechen, Aktivitäten von einzelnen Gemeinden zu lösen, sie zusammenzufassen oder an die höhere Ebene abzugeben oder gänzlich abzuschaffen, erst dann bekommt die Pfarrei die Handlungshoheit. Es wird sich verheerend auswirken, wenn sich die Pfarrei als Supergemeinde versteht oder dazu gemacht wird, die eigentlich alles besser weiß und kann als die kleineren Einheiten. Die Pfarrei steht immer und überall im Dienst der Gemeinden. Übernimmt die Pfarrei die Vorbereitung der Kinder zur Ersten Heiligen Kommunion, dann gibt sie diese nach getanem Dienst an die Gemeinde, aus der die Kinder kommen, zurück. Sie sind dann nicht etwa Kinder der Großpfarrei. Die Pfarrei ist keine Großgemeinde und darum auch keine Lebens- und Glaubensort ihrer Bewohner; das sind nur die Gemeinden.

Die Pfarrei als Zukunftswerkstatt

Die Gemeinden stehen im Vordergrund. Aber damit ist noch lange nicht alles über den Dienst der Pfarrei gesagt. Bemühen wir noch einmal das Beispiel der Erstkommunionvorbereitung. Die Pfarrei hat die Vorbereitung übernommen und gibt die Kinder an ihre Gemeinden zurück. Dann aber werden die Gemeinden nach nur wenigen Wochen feststellen, dass viele der Kinder mit ihren Familien nicht mehr im gemeindlichen Leben gesehen werden. Wir machen die Interessenlosigkeit der Kinder und vielleicht die Glaubensschwäche der Eltern dafür verantwortlich. Aber so zu urteilen reicht nicht mehr, eigentlich schon lange nicht mehr. Das Urteil über die Kinder und die Eltern mag richtig sein. Genauso richtig aber ist, dass wir als Gemeinden ein Stück der Verantwortung für diese Entwicklung selbst tragen.  Wir müssen uns mehr denn je die Frage gefallen lassen, ob die Bilder, die wir von unseren Gemeinden nach außen abstrahlen, ob diese wirklich so attraktiv und einladend sind, dass sie junge Familien anziehen, ob unsere Durchschnittsgemeinden wirklich das darstellen, was sie zu glauben vorgeben: Frohe Botschaft.

Es müsste mittlerweile wohl jedem, der es gut mit der Kirche meint, deutlich geworden sein, dass es in der Seelsorge ein einfaches So-weiter nicht mehr geben kann. Es genügt nicht, ein paar kleine Stellschrauben zu betätigen, um die Kirche und die Gemeinden zukunftsfähig zu machen. Es muss sich Grundsätzlich ändern. Aber daran zu arbeiten, dafür sind unsere Gemeinden nicht da; sie wären auch maßlos überfordert.

Hier kommt für mich die Pfarrei wieder ins Spiel. Ihr möchte ich die Aufgabe einer Zukunftswerkstatt übertragen. Ich bin geneigt, diese Aufgabe als ihre eigentliche zu sehen. Höchstwahrscheinlich ist auch eine einzelne Pfarrei überfordert. Dann soll sie sich mit anderen auf Dekanatsebene oder sonst wie zusammentun. Visionen gilt es zu entwickeln, Ideen zu gestalten, Grenzen zu überwinden, Unmögliches möglich zu machen und die Tore für eine lebens- und glaubenswertere Zukunft zu öffnen. Sie wird sich für derartige Aufgaben rüsten müssen, muss wohl neu sehen lernen, muss wohl neue Kompetenzen aufbauen, muss Ängste abbauen. Wie schnell so etwas möglich ist, weiß ich nicht. Ich weiß nur, dass es Zeit ist anzufangen.

Die Zukunft der Gemeinden

Ich wage auch keine Prognose anzustellen, wie es mit den derzeitigen Gemeinden weitergeht. Es ist durchaus möglich, dass im Zuge der Zusammenarbeit, des Zusammenlegens, des Zentrierens, des Aussortierens von Aktivitäten die Bedeutung der einzelnen Gemeinden schwindet und dass größere Einheiten wichtiger werden. Dass aber die Pfarreistruktur ohne eine wie auch immer geartete Substruktur auskommen könnte, das halte ich nach meinem derzeitigen Wissensstand für ausgeschlossen. Seelsorge ist unabdingbar menschliche Nähe, Gespräch, Gemeinschaft. Und all das kann nicht in einem strukturlosen Großraum wachsen. Höchstwahrscheinlich werden die Substrukturen ganz anders aussehen als jetzt. Menschen mit besonderen Ideen, Initiativ- und Selbsthilfegruppen, caritative Entwürfe, alles das kann einer Pfarrei neues Leben und neue Formen geben. Es werden sich vielleicht Initiativen wie Basisgemeinden oder Citykirchen bilden, einzelne bisherige Gemeindekirchen und Pfarrheime können zu Kinder-, zu Jugend-, zu Männer- zu Frauen-, zu Seniorenkirchen werden. Die Kirchenmusik kann neues religiöses Leben anstoßen. Man kann sich vieles vorstellen und noch mehr. Dabei allerdings ist m. E. ein zweifaches zu bedenken. Es muss in unseren Pfarreien ein Klima herrschen, in dem Neues und Ungewohntes entstehen kann, wo nicht Ängstlichkeit bremst, sondern der Ruf des Geistes hellhörig macht. Und das alles ist die Voraussetzung dafür, dass sich – zweitens - dieses Neue innerhalb der Kirche und unserer Pfarreien entwickeln kann und nicht frei und ungebunden irgendwo im kirchenfreien Raum. Denn wenn sich solche Entwicklungen erst einmal verselbständigt haben, sind sie wohl für unsere Kirche verloren.

Stand: 11.04.2018                                        zum Seitenanfang

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