Die Gottesdienstordnung am Sonntag  –

der Versuch eines alternativen Modells

(Vor der Lektüre der folgenden Seite empfiehlt es sich, falls noch nicht geschehen, die Einleitung unter der Hauptnavigation Pfarreistruktur & Seelsorgemanagement  zu lesen.)

Eine Frau erzählte, wie sie früher regelmäßig sonntags um 10:00 Uhr in ihrer Pfarrkirche die Hl. Messe besucht hat. Sie hätte mit ihrem Mann immer in der gleichen Bank gesessen. Man begrüßte mit kurzem Nicken andere Dauerbesucher an ihren Stammplätzen, frage mal besorgt, warum ein bestimmter Platz gerade heute leer geblieben war, erfuhr in den Vermeldungen, was sich in der Gemeinde tat, und stand nach dem Gottesdienst in Grüppchen zusammen, um das Neuste auszutauschen.

Eine neue Gottesdienstordnung hat die Sonntagsmesse der Frau auf 11:15 Uhr verschoben und zwar dauerhaft. Diese Zeit sei für sie, so die Frau, absolut unmöglich. Sie sei für ihre Großfamilie für den Mittagstisch da. Sie ginge jetzt mal am Vorabend, mal um 9:00 oder 10:00 Uhr in verschiedene Kirchen. Da sei es nicht schlechter. Hin und wieder träfe sie auch dort Bekannte. Es sei eigentlich alles in Ordnung – aber es fehle ihr trotzdem was.

Ich glaube, die Frau hat etwas ganz Wichtiges erspürt und auf etwas hingewiesen, was eigentlich eine theologische Selbstverständlichkeit ist, aber in all dem Ringen um Zeiten und Frequenzen immer wieder übersehen wird: Die Hl. Messe am Sonntag ist nicht allein für den einzelnen Christen da, damit er seinem Herrn begegnen und den Sonntag heiligen kann. Dieser individuelle Aspekt bedarf immer und überall der Ergänzung durch den Blick auf die Gemeinde. Der sonntägliche Gottesdienst ist von seinem Wesen her die Versammlung der Gemeinde. Die Christen kommen zusammen, um Mahl zu halten, und indem sie feiern, strukturieren sie sich und wachsen als Gemeinde zusammen. In der gemeinsamen Gottesdienstfeier wird die Gemeinde sichtbar, erlebbar, begreifbar. Die Gläubigen lernen sie als Lebens- und Glaubensgemeinschaft kennen und werden in sie hineingeholt. Die sonntägliche Eucharistiefeier ist gemeindebildend, gemeindefördernd, gemeindeerhaltend. Wenn, aus welchen Gründen auch immer, der Sonntagsbesuch in der eigenen Kirche für längere Zeit erschwert oder unmöglich wird, dann entfernt sich die Gemeinde von ihren Mitgliedern und die Mitglieder von der Gemeinde. Und genau das hat die Frau erfahren.

Wann is Kerch? - fragt der Pfälzer und ahnt nicht, dass er mit dieser Frage nach dem Gottesdienstbeginn ähnlich wie die Frau eine ganze Theologie losgetreten hat. Wenn er in den Gottesdienst geht, der Pfälzer und wir alle, dann ereignet sich für uns Kirche, dann wissen wir uns als Teil der Gemeinde und die Gemeinde wird ein Stück von uns, auch wenn wir es nur unterschwellig wahrnehmen. Der Gottesdienst, das sind die Riten, dass ist der Pfarrer, das ist die Musik, das ist die Predigt und vor allem sind die es die Menschen, mit denen man draußen lebt und hier drinnen Gemeinde erfährt. Jeder, der kommt, ist eine Bereicherung, und jeder, der nicht kommt, ein Verlust.

Natürlich ist es nicht der Gottesdienst allein, der Gemeinde macht. Wer zu den Messdienern gehört, zur Frauengemeinschaft, zur Kolpingfamilie wird durch diese Substruktur in die Gemeinde eingebunden. Oder man trifft sich auf Gemeindefesten, geht zu Vorträgen, nimmt an Solidaritätsessen und gemeinnützigen Veranstaltungen teil, überall wird Gemeinde sichtbar und erlebbar. Aber das Ganze wird verbunden und überhöht durch die sonntägliche Eucharistie, theologisch und systemisch.

Ein Gottesdienst, der in und mit einer kirchlichen Organisation gefeiert wird, ist strukturbildend, wenn die Voraussetzungen stimmen. Das galt bisher für die Pfarrgemeinden und das gilt jetzt für die beiden Teile, in die die Neustrukturierung diese zerlegt hat, für die Gemeinde ebenso wie für die Pfarrei. Wollen unsere Gottesdienstordnungen theologisch und systemisch fest gegründet sein, müssen sie neben den besucher- und zelebrantenrelevanten Kriterien auch die Strukturbildungen der Gemeinden und der Pfarrei im Blick haben.

Stichwort Gemeinde. Die Gemeinden der heutigen Großpfarreien stehen in der Geschichte der alten Pfarreien und führen sie fort. Der sonntägliche Gottesdienst wird auch weiterhin die Gemeinde zusammenhalten und festigen. Daran wird sich auch da nichts ändern, wo die Sonntagsmesse nur noch jeden zweiten Sonntag in der eigenen Kirche gefeiert wird und zwischendurch die Nachbarkirchen einladen. Allerdings muss man bedenken: Wenn die Strukturen einen vierzehntägigen Rhythmus festlegen und sich Menschen gern von Strukturen leiten lassen, wird der vierzehntägige Kirchgang immer mehr Normalität. Diese zweiwöchentlichen Messen aber, und da wird sich nicht viel ändern, werden überwiegend von den eigenen Gemeindemitgliedern besucht. Auch bei einem größeren Angebot liegt den meisten die Heimatkirche wohl mehr am Herzen als die anderen. – Die Strukturbildung und -förderung der neuen Gemeinden scheint also kein großes Problem zu sein. Problematischer wird sie in den neunen Pfarreien sein.

Die Strukturierung und Festigung der Pfarreien führt m. E. über zwei Schienen, über die Solidarität der Gemeinden untereinander und über die Institutionalisierung der Pfarrmesse.

Stichwort Solidarität. Die Solidarität innerhalb einer Pfarrei besteht darin, dass sich die Mitglieder der Gemeinden untereinander besuchen, bei allen möglichen Treffen und Festen und natürlich auch zu den Gottesdiensten; und dafür ist die vierzehntätige Gottesdienststruktur eine gute Voraussetzung. Denn wenn die Glocken jeden Sonntag zur eigenen hl. Messe rufen, warum soll man dann in die Nachbarschaft gehen?

In die Nachbarkirchen geht man dann bevorzugt,  wenn die eigenen Kirchentüren geschlossen bleiben. Dann hat man sogar zwischen mehreren Gemeinde- und der Pfarrmesse die Wahl. Die Entscheidung wird an der Zeit, an Vorlieben für eine Kirche, an der Beziehung zu den Gemeinden, an Menschen, die man treffen möchte, und an anderen persönlichen Gründen hängen. Diese persönliche Freiheit ist ein großer Vorteil unseres Pfarreisystems. Auf der anderen Seite ist aber zu bedenken, dass die auf persönliche Vorlieben gründet Solidarität, diese höchstwahrscheinlich nur auf wenige, wenn nicht gar auf eine Gemeinde beschränkt. Darum scheint es notwendig zu sein, die persönliche Freiheit durch Strukturen zu ergänzen, die den Weg auch in bisher mehr unbekannten Gemeinden  innerhalb der Pfarrei ebnet.

Stichwort Pfarreimesse. „Am Sonntagvormittag bzw. am Vormittag des Feiertags soll (d. h. außer in begründeten Ausnahmefällen an einzelnen Sonn- und Feiertagen des Kirchenjahres) immer zur gleichen Zeit am zentralen Gottesdienstort die Eucharistie als Hauptgottesdienst der Pfarrei gefeiert werden. Eine Rotation des Hauptgottesdienstes ist ausgeschlossen.“ – So heißt es in dem Seelsorgekonzept unserer Diözese.

Ich habe den Eindruck, dass viele Pfarreien noch gar nicht verstanden haben, was diese Messe eigentlich soll. Dabei kann gerade sie das Tor sein, um einen Zugang zu der Großorganisation Pfarrei zu bekommen. Derzeit kommt jemand, der nicht sein Kind taufen lassen will, nicht Kommunionkind oder Firmling ist, kaum mit der Wirklichkeit der Pfarrei in Berührung - es sei denn, er ärgert sich, weil wieder irgendwo eine Hl. Messe, ein Geburtstagsbesuch oder eine Rosenkranzandacht der Rationalisierung zum Opfer fällt. Auch die Pfarrei tut gut daran, ihrem Gottesdienst eine zentrale Rolle zuzuweisen, damit auch er, parallel zu den der Gemeinden, pfarreibildend, pfarreifördernd und pfarreierhaltend werden kann. Es tut weh mitzuerleben wie der gottesdienstliche Höhepunkt der Pfarrei zu einer irgendwie gearteten Hauptmesse wird, die ihre Begründung vor allem aus dem Argument bezieht, die Gläubigen bräuchten in dem Gewirr der sich ständig ändernden Gottesdienstzeiten in den Gemeinden eine fest Zeit, auf die sich verlassen können.

Bisher hebt sich dieser Gottesdienst kaum von den andern Gemeindemessen ab. Die Besucher erleben auch hier „nur“ die Messe der Gemeinde, in der der Pfarrer zufällig wohnt; die meisten Besucher kommen von hier und die Intentionen auch. Dass die Pfarreimesse so unauffällig bleibt, ist umso erstaunlicher, als diese ja jeden Sonntag gefeiert wird, die Messen in den Gemeinden aber oft bedeutend weniger. Da muss ein Systemfehler vorliegen.

Vielleicht hilft ein kleines Gedankenexperiment, diesem Fehler auf die Spur zu kommen. Ich nehme einmal an, dass trotz der genannten Tendenzen doch immer ein paar Gläubige aus den anderen Gemeinden den Weg in die Hauptkirche finden und vielleicht sogar bewusst die Pfarreimesse suchen. Sie werden an den einzelnen Sonntagen nicht sehr ins Gewicht fallen, weil ihre Zahl wohl nicht sehr groß ist. Ich stelle mir weiter vor, wir würden die Besucher mehrerer Sonntagsmessen in einem Gottesdienst zusammenholen. Dann würden sich die Zahlenverhältnisse verschieben und man könnte ein ganz anderes Bild wahrnehmen, vielleicht sogar ein Bild mit wenigsten einem Hauch von Pfarreigefühl. Und wenn ich mir dann vorstelle, wie wir diesen Gottesdienst gestalterisch aufbereiten, wie wir ihn attraktiv machen, dann könnten wir ihn doch langsam aber sicher zu einem echten Pfarrerlebnis machen, wo man sehen kann, was Pfarrei ist und welcher Geist hier weht. Sollte das alles möglich sein, komme ich zu der folgenschweren Erkenntnis, dass die unendliche Reihe der wöchentlich in der Hauptkirche gefeierten Gottesdienste der Idee des Pfarrgottesdienstes mehr schadet als bereichert und in der Folge die Fortentwicklung der Pfarrei eher bremst als antreibt. Diese Erkenntnis ist eine der Grundlagen eines Modells, das ich nun vorstellen möchte.

Mein alternatives Modell

Ich habe an ein neues Modell hohe Anforderungen und dennoch ist das, was ich mir vorstelle, ganz einfach. Ich entzerre die Gottesdienste und erkläre den ersten Sonntag im Monat zum Pfarreisonntag, die anderen zu Gemeindesonntagen mit Gottesdiensten in der eigenen und Gottesdienste in den Schwesterkirchen.

So einfach ist das Problem grundsätzlich zu lösen. Schwieriger wird es natürlich, wenn es an die Detailplanung geht. Ich habe mal als Beispiel eine Möglichkeit für eine Pfarrei mit sieben Kirchen, darunter die Hauptkirche, aufgemalt, mit der Vorgabe, dass die Gemeindemessen alle vierzehn Tage gefeiert werden. (Ich habe auch andere Varianten durchgespielt. Sie gehen nicht immer so glatt auf. Aber es gibt meistens einen gangbaren Weg):

 

 

Samstag

Sonntag

 

17:00

18:30

09:00

10:00

1 Wo

1

6

 

7=Pfr.M

2 Wo

2

3

4

5

3 Wo

7=Gem.M

6

1

WGF

4 Wo

2

3

4

5

Zur Erklärung:

  • Idealerweise müsste der Vorabend des ersten Monatssonntags ganz frei bleiben oder es dürfte  höchstens ein Gottesdienst ebenfalls in der Hauptkirche gefeiert werden. Aber vielleicht ist das schwerer zu vermitteln als der in diesem Beispiel vorgeschlagene Kompromiss. Außerdem wird die Einbeziehung dieses Vorabends manchmal nötig sein, um alle gewünschten Gemeindemessen unterzubringen.
  • Die Ziffern 1 – 6 stehen für die Gemeindekirchen, die 7 ist die Gemeinde mit der Hauptkirche.
  • Die GD-Zeiten sind so vorgeschlagen, dass ein Zelebrant die Hl. Messen am Vorabend und eine am Sonntag feiern kann. Die zweite Sonntagsmesse kann im Falle der Verhinderung des zweiten Priesters auch von einem Gottesdienstleiter gefeiert werden. Darum sind am Sonntag auch andere Zeitkombinationen möglich.
  • Zusätzlich enthält der Plan am Vorabend des dritten Sonntags eine echte Gemeindemesse für die Gemeinde mit der Hauptkirche.
  • Die sechs Gemeinen der Pfarrei durchlaufen im Wechsel von zwei oder drei Monaten alle Ziffern von 1 bis 6. So ist gewährleistet, dass die Gottesdienstzeiten wechseln und eine Gemeinde nicht immer parallel zur gleichen Gemeinden an der Reihe ist, was den wechselseitigen Besuch erleichtert. Damit wird auch ausgeschlossen, dass nicht, wie in dem Bericht der Frau, Menschen von vornherein dauerhaft von einem bestimmten Gemeindegottesdienst ausgeschlossen bleiben. Sonderwünsche sind möglich, wenn z. B. zwei Gemeinden untereinander tauschen.
  • Sollte es einen 5. Sonntag im Monat geben, muss eine Sonderlösung her.
  • Dieser Plan lässt für den 3. Sonntag nur drei Eucharistiefeiern zu, die man aber durch eine Wort-Gottes-Feier ergänzen kann.
  • Damit der Besuch in den Bruder- und Schwestergemeinden nicht dem Zufall oder persönlichen Vorlieben allein überlassen wird, reicht es nicht, das Modell nur vorzugeben und es den Anwendern zu überlassen, was sie daraus machen. So ein Modell will kommuniziert werden. Ich möchte, dass die Gemeindemitglieder auf Dauer verinnerlichen, dass jede Entscheidung von Messbesuchern eine Bedeutung hat, die über den Nutzen der eigenen Person weit hinausgeht. Ich möchte, dass man sich verantwortlich weiß für die gesamte Pfarrei und für alle einladenden Kirchen.
  • Der Pfarrgottesdienst und damit die Pfarrei sind in diesem Modell die Hauptgewinner. Beide haben in diesem Modell die Chance, viele der oben aufgezeichneten Probleme hinter sich zu lassen.

Hier noch ein paar Hinweise, was dem bisherigen Hauptgottesdienst helfen kann, zum Pfarrgottesdienst zu werden:

  • Die Messe der Pfarrei muss immer und überall, wenn von ihr die Rede ist, als solche bezeichnet werden, auch in Veröffentlichungen.
  • Wenn möglich sollten die vorhandenen Priester konzelebrieren und die anderen Mitglieder des Seelsorgeteams eingebunden werden.
  • In der Gestaltung des Gottesdienstes kann man – immer dezent – Bezüge zur Pfarrei einbauen, z. B. in der Predigt und in einem Gebet für die Pfarrei, das zum festen Bestandteil des Schlussgebetes wird.
  • Vertreter des Pfarreirates können in der Liturgie mitwirken, in der Begrüßung, beim Vortragen anderer Texte.
  • Die Gestaltung der Feier kann hin und wieder von einzelnen Gemeinden übernommen werden, bewusst als Dienst der Gemeinde an die Pfarrei, mit Lektoren, Messdienern, Kirchenchor.
  • Gelegentlich kann am Ende des Gottesdienstes über die Entwicklung der Pfarrei und über Beschlüsse der Gremien informiert werden.
  • Wenn die Mitglieder des Pfarrei- und des Verwaltungsrates und auch die der Gemeindeausschüsse es sich zur Gewohnheit machen, vermehrt diese Pfarreimesse zu besuchen, wird das seine Wirkung nicht verfehlen.

Noch ein Bekenntnis. Ich glaube nicht, dass diese meine Überlegungen zeitnah umgesetzt werden können. Dennoch träume ich davon, dass das Modell irgendwann einmal bekannt wird und Schule macht.

 

Stand: 16-01-2019                                                                        Zum Seitenanfang    

 

 

 

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